„Viele von uns folgen in der Kindheit erlernten Lebensregeln ohne groß nachzudenken“. (E. Rödiger)
Frühe Erfahrungen sind es, die, unreflektiert, oft die Muster unserer Persönlichkeit prägen und unsere „Lebens-Modi“ regieren.
Dieser Blogeintrag, der stark an die Handouts, die ich im Rahmen meiner schematherapeutischen Gruppensitzungen an die PatientInnen verteile, angelehnt ist, ist ein Versuch zur Begriffsklärung: was ist ein Schema, was sind Schemamodi und wie entstehen Schemata?
Ein Schema ist grundsätzlich ein Muster, ein Plan, der die Organisation von Wahrnehmung, Denken und Handeln ermöglicht. Ein sogenanntes dysfunktionales Schema entsteht aus der Wechselwirkung zwischen dem Temperament eines Kindes und der ungenügenden Befriedigung seiner Bedürfnisse. Unser Temperament ist angeboren und wir können ihn als die individuelle Art, auf die Welt um uns herum zu reagieren, verstehen. Als Kinder sind wir nicht in der Lage, steuernd auf unser Temperament einzuwirken. Viele Studien belegen, dass Menschen, die unter psychischen Störungen leiden, von ihrem Temperament her sensibler sind und zu stärkeren Reaktionen neigen. Wenn es dazu kommt dass die frühen Bezugspersonen und die Umgebung des Kindes nicht hinreichend auf seine Bedürfnisse eingehen, wird der Nährboden für die Entstehung der maladaptiven bzw. für gegenwärtige Situationen nicht geeigneten Schemata gebildet. Unser angeborenes Temperament kann also die Schemaentstehung begünstigen und vor allem auch unseren Umgang (Bewältigungsstil) mit unseren Schemata beeinflussen.
Unter normalen, zentralen Bedürfnissen des Kindes versteht man
- Sichere Bindung an Bezugspersonen (Geborgenheit, Stabilität, Fürsorge, Akzeptiertwerden, Zugehörigkeitsgefühl)
- Autonomie, Zutrauen in eigene Fähigkeiten und Identitätserleben (das Kind darf seinem Alter angemessene Aufgaben selbst erledigen und bekommt zutreffendes Feedback zum eigenen Verhalten)
- Freiraum ( für das Äußern eigener Gefühle und Bedürfnisse)
- Spontanität und Spiel (das Kind darf Freude am Leben haben)
- Realitätsgerechte Grenzen gesetzt bekommen (die dem Kind helfen, altersgerechte Selbststeuerung zu lernen).
Auf oben beschriebenem Wege ausgebildete Schemata sind nicht fortwährend aktiv, sie müssen durch einen Auslösereiz mobilisiert bzw. „angetriggert“ werden- meist durch bestimmte Situationen oder durch ein Element in der Interaktion mit anderen. Schemata werden also im Laufe unseres Lebens immer wieder aktiviert und verfestigen sich immer mehr.
Heute geht man von 18 kognitiv-emotionalen Schemata aus, die wichtigste Frage dabei ist:
Wie beeinflussen Schemata mein jetziges Leben ?
1.Wenn bei mir das Schema Verlassenheit aktiv ist, …
… dann sind in meiner Kindheit meine Bezugspersonen nicht in angemessener Weise auf mein Bedürfnis nach Sicherheit, Geborgenheit oder Verlässlichkeit eingegangen;
… dann habe ich, wenn dieses Schema bei mir heute im Erwachsenenalter mobilisiert wird, das Gefühl, dass ich in Gefahr und ganz allein bin, dass ich, obwohl ich das dringend brauche, bei niemandem Sicherheit, emotionalen Rückhalt, Verbundenheit, Stärke oder Schutz finden kann und dass ich mir das nur in geringem Maße selbst geben kann.
2. Wenn das Schema Unzulänglichkeit aktiv ist, …
… dann habe ich das Gefühl, dass ich in wichtigen Aspekten meines Lebens verkorkst, wertlos, schlecht, unfähig oder zu nichts nütze bin.
3. Wenn das Schema Misstrauen / Missbrauch aktiv ist, …
… dann habe ich die Erwartung, dass andere mich anlügen, mich hereinlegen, mich verletzen, mir Gewalt antun, mich irgendwie manipulieren, beschämen oder ausnutzen werden.
4. Wenn das Schema emotionale Entbehrung aktiv ist, …
… dann bin ich darauf eingestellt, dass andere Menschen mein Bedürfnis nach emotionalem Rückhalt, Aufmerksamkeit, Verständnis, Mitgefühl und Hilfe niemals wirklich erfüllen werden.
5. Wenn das Schema Undiszipliniertheit aktiv ist, …
… dann fällt es mir entweder schwer, mein Verhalten zu steuern, was beispielsweise dazu führt, dass ich meine Gefühle und Impulse in extremer Weise zum Ausdruck bringe;
… oder ich habe, wenn ich meine Ziele nicht gleich erreiche, eine geringe Frustrationstoleranz und deshalb zum Beispiel keine Lust, mich über eine längere Zeit hinweg anzustrengen.
6. Wenn ich dem Schema soziale Isolation folge, …
… dann habe ich das Gefühl, dass ich vom Rest der Welt abgeschnitten bin, dass ich anders als andere bin oder dass ich nicht in eine Gruppe integriert bin und nicht dazugehöre.
7. Wenn das Schema Abhängigkeit / Inkompetenz aktiv ist, …
… dann bin ich überzeugt, dass ich meinen Alltag nur bewältigen kann, wenn ich sehr viel Unterstützung von anderen bekomme.
8. Wenn ich vom Schema Anfälligkeit für Schädigungen oder Krankheiten
bestimmt bin, …
… dann habe ich ständig Angst vor unausweichlichen Katastrophen.
9. Wenn das Schema Verstrickung aktiv ist, …
… dann richte ich mich zu sehr auf ein oder zwei Menschen in meinem Leben aus und bemühe mich so sehr, ihnen nahe zu sein, dass ich darüber hinaus keine eigenen sozialen Kontakte oder keine eigenen Interessen mehr habe.
10. Wenn das Schema Erfolglosigkeit / Versagen aktiv ist, …
… dann bin ich überzeugt, dass ich in Lebensbereichen, in denen Leistung zählt, wie zum Beispiel im Sport, in der Schule oder im Beruf, gescheitert bin oder sicherlich scheitern werde.
11. Wenn ich das Schema Grandiosität / Ansprüchlichkeit habe, …
… dann bin ich überzeugt, dass ich besser als andere oder etwas ganz Besonderes bin oder dass ich mehr Rechte als andere habe.
12. Wenn das Schema Unterwerfung aktiv ist, …
… dann neige ich dazu, andere über mich bestimmen zu lassen, weil ich das Gefühl habe, dass ich das tun muss (zum Beispiel aus Angst, dass mir andernfalls Konsequenzen drohen).
13. Wenn ich das Schema Selbstaufopferung habe, …
… dann neige ich in Alltagssituationen in übertriebenem Maße dazu, den Bedürfnissen von anderen nachzukommen, zulasten meiner eigenen Zufriedenheit.
14. Wenn das Schema Streben nach Zustimmung und Beachtung aktiv ist, …
… dann bemühe ich mich in übertriebenem Maße um die Anerkennung, Wertschätzung oder Aufmerksamkeit anderer oder versuche mich einzufügen, anstatt mich an meinen eigentlichen Empfindungen zu orientieren.
15. Wenn ich das Schema Negativität / Pessimismus habe, …
… dann konzentriere ich mich bei allen Dingen in meinem Leben auf die negativen Aspekte (und nehme beispielsweise alles nach dem Motto „Das Glas ist halb leer“ wahr).
16. Wenn das Schema emotionale Gehemmtheit aktiv ist, …
… dann unterdrücke ich in übertriebenem Maße spontane Gefühlsregungen, Handlungsimpulse oder Äußerungen, meistens weil ich es vermeiden will, dass ich mich abgelehnt fühle, dass ich mich schäme oder dass ich meine Impulse nicht beherrschen kann.
17. Wenn ich das Schema Unerbittliche Standards habe, …
… dann bin ich überzeugt, dass ich mich ständig bemühen muss, meinen sehr hohen Ansprüchen an mein Verhalten und meine Leistungen zu genügen, weil ich sonst hart mit mir ins Gericht gehe oder von anderen kritisiert werde.
18. Wenn das Schema Strafneigung aktiv ist, …
… dann bin ich überzeugt, dass Menschen hart bestraft werden sollten, wenn sie Fehler machen.
Was sind Schemamodi?
Modi sind die aktuell erlebbaren Aktivierungszustände vor dem Hintergrund eingebrannter Schemata. Wir erleben sie wie Teil-Persönlichkeiten, die in Situationen starker emotionaler Beteiligung auf die innere Bühne treten und unser ganzes Erleben und Verhalten dominieren können.
Oft wird ein Schemamodus von alltäglichen Situationen ausgelöst, auf die wir besonders sensibel ansprechen (unsere „emotionalen Triggerpunkte“). Mit der Aktivierung eines Schemas wird auch ein Schemamodus mobilisiert. Ein Schemamodus besteht aus starken Emotionen und / oder einem starren Bewältigungsstil, die in der jeweiligen Situation das Ruder übernehmen und unser Tun und Denken bestimmen. Der Modus, in dem wir uns befinden, kann rasch in einen anderen umschlagen, und Modi können sich auch gegenseitig überlappen. Der schnelle Wechsel zwischen Modi („Modus-Flipping“) kommt bei Menschen mit bestimmten psychischen Störungen sehr häufig vor. Er wird als beängstigend, „verrückt“ oder übermächtig erlebt und ist kräftezehrend.
Modi, auf die wir uns im Rahmen der Schematherapie konzentrieren:
1. Maladaptive Bewältigungsmodi sind die Überlebensstrategien, mit denen wir als Kinder versucht haben, uns vor den Emotionen zu schützen, die wir bei Kränkung, Schmerz, Vernachlässigung und Misshandlung erlebten:
. vermeidende Bewältigungsmodi
. überkompensierende Bewältigungsmodi / Überkompensierer
. sich unterwerfende Bewältigungsmodi / Unterwerfungsmodi
2. In kindlichen Modi drücken sich starke Emotionen aus, die mit der Nichterfüllung von Bedürfnissen assoziiert sind (Traurigkeit, Angst, Verletzbarkeit, Ärger etc.).
. Modus des Vulnerablen Kindes
. Modus des Wütenden oder Impulsiven Kindes
3. Unsere dysfunktionalen Elternmodi sind dadurch entstanden, dass wir die negativen Aspekte der Menschen, die einst für uns sorgten, und unsere emotionalen Erfahrungen mit ihnen verinnerlicht haben:
. Strafender Elternmodus
. Fordernder Elternmodus
4. Gesunde Modi erlauben uns zum einen, als Erwachsene in sinnvoller Weise und psychisch flexibel auf unsere Umwelt zu reagieren, und zum anderen, an die kreativen und lebensfrohen Aspekte unserer Kindheit anzuknüpfen:
. Modus des Gesunden Erwachsenen
. Modus des Glücklichen Kindes
Ihre Schemata und Modi werden im Rahmen der Schematherapie erkundet und herausgearbeitet. In der Therapie werden Sie vor allem empathisch mit ihren Bewältigungsmodi konfrontiert. Ihre Vor− und Nach− teile werden erörtert mit dem Ziel, sie zu reduzieren und durch gesündere Verhaltensmuster zu ersetzen. Unser Ziel ist es ebenfalls, den Einfluss ihrer strafenden oder übermäßig fordernden Elternmodi zu reduzieren und durch gesündere Normen und Ideale zu ersetzen.
Wir gehen dabei folgendermaßen vor:
. Sie füllen eine oder mehrere Schema-Fragebogen zu typischen Verhaltensweisen und Gefühlen von Ihnen;
. wir versuchen gemeinsam ihre starke emotionale Reaktionen in ihrer Gegenwart zu registrieren: Sie sind oft ein Signal dafür, dass ein wichtiges Schema oder ein wichtiger Modus aktiviert worden ist. Ihre Reaktion erscheint dann heftiger, als die Situation das eigentlich erwarten lässt, ist aber vor dem Hintergrund Ihrer früheren Erfahrungen verständlich. Diese intensiven Reaktionen können zum Beispiel in Angst bestehen, in Wut oder in der Aktivierung eines Bewältigungsmodus, und sie können Hinweise darauf geben, welches Schema aktiviert und welcher Modus in Gang gesetzt worden ist.
. wir beobachten gemeinsam, wann im Kontakt mit den Therapeuten, mit den Gruppenmitgliedern oder anderen Menschen bei Ihnen Schemata oder Modi aktiviert werden;
. wir machen sogenannte Imaginationsübungen (Vorstellungsübungen), und Stuhldialoge (um die Selbstanteile bzw. Modi besser erlebbar zu machen) durch die verschiedene Modi aktiviert werden;
. wir sprechen über Ihre Erfahrungen als Kind.
Mehr über Schematherapie erfahren Sie sowohl in einem anderen Blogeintrag als auch hier.
Literatur:
Roediger , E. (2014) Wer A sagt … muss noch lange nicht B sagen. Lebensfallen und lästige Gewohnheiten hinter sich lassen. Kösel-Verlag
Reiss N., Farell J.M., Shaw I. (2015) Schematherapie erfolgreich anwenden: Ressourcen fur Aufbau und Umsetzung in Einzel-, Gruppen- und kombinierten Settings. Junfermann