„Deine Beziehung zu Dir selbst gibt den Ton für jede andere Beziehung an, die Du hast.“
– Robert Holden
Der Schwerpunkt der schematherapeutischen Arbeit liegt heute in der Anwendung des sogenannten Modusmodells. Das schematherapeutische Modusmodell fasst die Gesamtheit des Problemverhaltens in ein übersichtliches, plausibles Modell zusammen und hilft den Patienten dabei ein „Metaverständnis“ für die wesentlichsten Schwierigkeiten aufzubauen. In weiterer Folge können die Patienten direkt daran ansetzen und an ihren problematischen Modi arbeiten. Unter dem Begriff Modi sind die aktuell erlebbaren Aktivierungszustände vor dem Hintergrund eingebrannter Schemata zu verstehen. Es sind mit bestimmten Schemata oder Bewältigungsreaktionen verbundene, nicht gut integrierte Facetten des Selbst. Wir erleben sie wie Teil-Persönlichkeiten, die in Situationen starker emotionaler Beteiligung auf die innere Bühne treten und unser ganzes Erleben, Gefühle und Verhalten dominieren können.
In diesem Blogeintrag werden die sogenannten problematischen Elternmodi vorgestellt. Diese Modi repräsentieren internalisierte (verinnerlichte) strafende oder übermäßig fordernde Reaktionen wichtiger Bezugspersonen (meistens der Eltern). Darunter werden höhnische, missbilligende, innere Stimmen zusammengefasst, die, nach innen gerichtet, kritisierend und abwertend sind. In diesen Aktivierungszuständen setzen sich Menschen unter Druck, gestatten sich so gut wie keine eigenen Bedürfnisse, finden sich selbst und ihre Gefühle lächerlich oder werten sich auf andere Weise stark ab. In diesen Modi gehen wir davon aus dass Selbststeuerung durch Selbstbestrafung erfolgt. Die Elternmodi stehen uns im Weg wenn es darum geht unsere Ziele zu erreichen und verhindern es, dass neue Fertigkeiten gelernt werden. Das Hauptziel schematherapeutischer Modusarbeit ist es, diese Modi zu bekämpfen, sie abzuschwächen und durch neue, hilfreiche und realistische Werte und Normen zu ersetzen.
Alle von uns haben solche Elternmodi in unterschiedlicher Ausprägung als Produkt unserer Erfahrungen mit wichtigen Bezugspersonen entwickelt. Die Unterschiede liegen nur in ihrer Ausprägung bzw. der Intensität. Problematische Elternmodi entstehen sowohl dann wenn bestimmte Sachen passieren, die nicht passieren sollen, aber auch dann wenn bestimmte Sachen nicht passieren, die passieren sollen. Über die etwas irreführende Bezeichnung dieser Modi wird bis heute diskutiert, weil er so klingt, als ob ausschließlich die eigenen Eltern daran schuld seien, dass man sich innerlich ablehnt bzw. nicht gut annehmen kann. Bei vielen Menschen war das auch der Fall. In der Regel war es aber nicht das gesamte Verhalten der Eltern, das das Problem verursacht hat, sondern bestimmte Anteile davon, die sich in emotional relevanten Situation „eingebrannt“ haben. Das können bestimmte Botschaften oder Verhaltensweisen der Eltern gewesen sein, die man als Kind direkt gehört oder gespürt hat, oder indirekte Botschaften und Erfahrungen, die man gelernt hat. Genauso gut können es unterschiedliche Verhaltensweisen sein, die die Eltern vorgelebt haben und die man durch das Modelllernen verinnerlicht hat. Auch Erfahrungen mit anderen Menschen können Auslöser für problematische Elternmodi sein. Dies kann unangenehme Erfahrungen mit allen an der Erziehung beteiligten Personen betreffen, zum Beispiel Großeltern, Onkel, Tanten, Kindermädchen, Lehrer oder Trainer im Sportverein, aber auch Geschwister und gleichaltrige Klassenkameraden, die die Betroffenen als Kinder geärgert, ausgelacht oder ausgeschlossen haben.
Es lassen sich drei problematische Elternmodi unterscheiden, die auch sehr oft in unterschiedlichen Kombinationen vorhanden sind:
Der strafende Elternmodus: Dieser Modus ist geprägt von Selbsthass, Selbstverachtung, Selbstkritik und starken Selbstabwertungen. Er entsteht meistens durch körperlichen und emotionalen Missbrauch, emotionaler Vernachlässigung, Bestrafungen und/oder Mobbing im jungen Alter. Es handelt sich dabei um innere Stimmen, die absolute und generalisierende Botschaften benutzen, wie z. B. „Du warst schon immer …“, „Du wirst nie …“ oder „Du bist absolut …“, gefolgt von negativen Aussagen wie “dumm”, “schlecht ” und „hässlich“. Manche Menschen bestrafen sich auch direkt oder indirekt in diesem Modus oder erlauben sich nicht, sich selbst etwas Gutes zu tun.
Der leistungsfordernde Elternmodus. In diesem Modus haben Menschen überzogene Ansprüche, in beruflichen, schulischen oder anderen Leistungssituationen perfekte Leistungen zu erzielen und keinerlei Fehler zu machen. Ihr Selbstwert ist von der Erreichung der (zu hoch) gesteckten Ziele abhängig. Oft geht es um verinnerlichte, unerbittliche Standards und das unbedingte Streben nach Perfektionismus bzw. perfektionistische Kontrolle. In diesem Modus werden alle Misserfolge oder Fehler mit personeninternen Ursachen erklärt („dumm, unfähig, inkompetent, untalentiert, Versager“). Weiters sind in diesem Modus „Schwarz-Weiß“ Denkfehler zu beobachten („alles oder nichts“). Daraus entstehen vor allem starke Schuld- und Schamgefühle. Spontanität sowie Äußerung eigener Wünsche und Bedürfnisse sind in diesem Modus unzulässig. Der Modus entsteht in erster Linie durch an bestimmte Bedingungen geknüpfte Liebe, Zuwendung und Lob (Belohnung von Leistung).
Der emotional fordernde Elternmodus: Bei diesem Elternmodus stehen Anforderungen an das Verhalten in Beziehungen im Vordergrund. In diesem Modus fühlt man sich verpflichtet, sich für andere aufzuopfern und immer dafür zu sorgen, dass es anderen gut geht. Sie haben Schwierigkeiten, eigene Bedürfnisse, Wünsche und Rechte zu erkennen, anzusprechen oder klare Grenzen in Beziehungen zu setzen. Es darf in diesem Modus keine Freude empfunden werden, so lange es anderen schlecht geht. Dieser Modus prädisponiert für abhängiges und aufopferndes Verhalten in Beziehungen. Wenn Menschen mit einen starken emotional fordernden Modus dessen Anforderungen nicht gerecht werden, erleben sie typischerweise intensive Schuld- und Schamgefühle, verbunden mit Selbstvorwürfen wegen übermäßigem Egoismus. Dieser Modus entsteht oft durch zu frühe Verantwortungsaufgaben, oft im Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung der Eltern. Eine andere Möglichkeit ist das Modellernen. Kinder können sich früh von anderen Bezugspersonen bestimmtes Beziehungsverhalten abschauen und verinnerlichen. Eine weitere Möglichkeit wäre wenn das Kind lern seine Bedürfnisse hinten anzustellen und sich stark an Bedürfnisse und Launen der Beziehungspersonen zu orientieren ( zB. wenn sich die ganze Familie aufgrund der Konfliktvermeidung an die Stimmung des Vaters anpasst).
Im Rahmen der schematherapeutischen Arbeit geht es vor allem darum mit der Hilfe des Therapeuten und emotionsfokussierter Techniken die eigenen Modi bewusster wahrzunehmen. Dazu gehören auch die eigenen vulnerablen und verletzlichen Modi, die unter diesen massiven Druck der Elternmodi leiden. Die typischen Situationen, die diese Modi antriggern, sowie die typischen, dazugehörigen Verhaltensweisen sollten identifiziert und bearbeitet werden. Weiters gilt es die toxischen Botschaften zu relativieren und Perspektivenwechsel in einen gesunden, erwachsenen Modus einzuüben, in dem ich eigene Wünsche und Bedürfnisse wahrnehmen sowie Grenzen setzen kann.
Quelle: Faßbinder, E., Schweiger, U., Jacob, G., Therapie-Tools Schematherapie, Beltz, 2011.